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Logbuch Lehre

Kollaborative Augmented Reality in der Lehre

10. Juli 2018 | von

Nina Schiffeler und Prof. Dr. Anja Richert der RWTH stellen in ihrem Beitrag eine Augmented-Reality-basierte App vor, mit der Studierende in der Lehrveranstaltung “Agiles Management in Technologie und Organisation” zusammenarbeiten. Die Autorinnen erläutern die Funktionen der App und das Feedback der Studierenden. Der beschriebene Lehr- und Forschungsbeitrag wurde im Rahmen des Wettbewerbs „Gelungene VR/AR-Lernszenarien 2018“ vom Stifterverband und dem Arbeitskreis VR/AR-Learning der GI-Fachgruppen E-Learning und VR&AR in der Kategorie „AR in der Hochschullehre“ ausgezeichnet.

ein Beitrag aus Hochschulforumdigitalisierung

Augmented in der Lehre

Neben digitalen und Online-Elementen in Lehrveranstaltungen wie e-Tests oder online bereitgestellte Vorlesungsmitschnitte finden Technologien wie Virtual oder Augmented Reality (VR/AR) immer mehr Einzug in die Lehre. Ihr Potenzial bezüglich der didaktischen Einbindung sowie der Evaluation der Wirksamkeit ist jedoch bei Weitem noch nicht vollständig erkannt oder ausgeschöpft. Beide Technologien bieten den Vorteil, Räume und Orte zu besuchen, die bspw. aufgrund ihrer klimatischen Witterungsbedingungen, moralischen Bedenken oder sonstiger Einschränkungen nur schwer bis gar nicht zugänglich sind, oder abstrakte und somit nur schwer vorstellbare Prozesse, Gegenstände und Zusammenhänge zu visualisieren und dadurch greifbar, d.h. leichter erlernbar, zu gestalten, um die Behaltensleistung zu erhöhen. Der Nachteil der VR ist dabei jedoch, dass eine gesamte virtuelle Welt erstellt werden muss, wohingegen AR die Möglichkeit bietet, virtuelle Objekte in einen realen Raum zu projizieren und somit z.B. auch abstrakte Inhalte zu veranschaulichen. Während für die Nutzung von VR spezielle Head-Mounted Displays (HMD) oder zusätzliche Modifikationen für Smartphones (z.B. Google Cardboard oder Gear VR) benötigt werden, können AR-Szenarios direkt über mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets genutzt werden.

Besonders im Bereich des agilen Managements stößt man häufig auf abstrakte, dynamische Prozesse, die einer Konzeptualisierung und Visualisierung bedürfen. Obwohl bereits eine große Zahl an AR-basierten Lehr- und Lernprogrammen und -Anwendungen besteht, adressieren diese meist lediglich Schülerinnen und Schüler, insbesondere im Alter zwischen neun bis 14 Jahren, oder Erwachsene, die sich auf unterhaltsame Weise bspw. beruflich weiterbilden wollen (z.B. Playmobil Scan-App mit Augmented Reality, KIDS Interactive oder Star Walk). Es ergibt sich jedoch die Lücke, dass bislang abstrakte Prozesse und Konzepte wie solche des agilen Managements mittels AR nicht dargestellt werden. Mit Hilfe von AR können jedoch abstrakte, schwer vorstellbare Prozesse und Konzepte abgebildet, visualisiert und vermittelt werden. Aufgrund der zusätzlichen Möglichkeit, AR-Lehranwendungen ebenfalls als Gruppenszenario zu gestalten, lässt sich eine Brücke hin zu einer praktischen Vermittlung der abstrakten Prozesse agilen Managements, welche Gruppen und Teams betreffen, wie etwa Teamarbeit oder auch Lernen in der Gruppe, aus der genannten Lehrveranstaltung schlagen, die bisher lediglich überwiegend theoretisch vermittelt werden konnten.

Für die Zielgruppe Studierende eignet sich die Vermittlung von Lehrinhalten und abstrakten Prozessen und Lehrgegenständen mittels AR insbesondere in Gruppensettings, wie sie täglich im Rahmen von Vorlesungen, Kolloquien oder Seminaren stattfinden, da es als gutes Medium für immersive kollaborative Simulation angesehen wird.

Im Kontext bestehender AR-Anwendungen in der Lehre zeigt sich bisher jedoch eine Beschränkung auf die interpersonale Kommunikation in der realen Welt oder lediglich der Möglichkeit, innerhalb der AR-Anwendung einen Chat zu öffnen, mittels dessen mit anderen Usern kommuniziert werden kann. Um aber auch gleichzeitig mit anderen Usern und dem virtuellen Objekt, das in die reale Welt projiziert wird, interagieren zu können und so Problem-orientiertes und forschendes Lernen verstärkt zu fördern, ist im Rahmen des Projekts „Augmented Reality in der exzellenten Lehre“ (ARieL) eine kollaborative AR-App entwickelt und in einer exemplarischen Lehrveranstaltung pilotiert worden. Das Projekt konnte im Rahmen eines Fellowships für Innovationen in der digitalen Hochschullehre, vergeben durch den Stifterverband und das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, realisiert werden. Die konkrete Umsetzung des Projekts wird im Folgenden näher erläutert.

Kollaborative Augmented-Reality-App

In der kollaborativen AR-App können mehrere Personen gemeinsam ein Produkt erstellen. Im aktuellen Szenario ist ein Studierenden-nahes Thema gewählt worden, um an der Erfahrungswelt der Studierenden anzuknüpfen und darüber die eigentlichen Lerninhalte zu vermitteln: die Einrichtung einer Wohnung für eine Dreier-WG, die auf den spezifischen und im Prozess variierenden Anforderungen jedes einzelnen (fiktiven) Mitbewohners basiert (siehe Abb. 1). Die kollaborative AR-App inklusive dieses Wohnungsbauszenarios wurde in eine Lehrveranstaltung zum Thema „Agiles Management in Technologie und Organisation“ für Studierende des Fachs Maschinenbau integriert, um den Studierenden auf innovative, moderne und vor allem praxisnahe Weise die Lerninhalte näher zu bringen. Über Smartphones und Tablets in Kombination mit einem AR-Marker – einem visuellen Trigger wie z.B. ein Bild oder QR-Code, der die Anzeige virtueller Zusatzinformationen und Objekten auslöst – kann dann die AR-App genutzt werden. Um die App aber auch didaktisch in die Lehrveranstaltung zu integrieren, damit diese in Bezug zu den weiteren Lerninhalten hat und nicht „losgelöst“ in dieser enthalten ist, ist sie in ein Rollenspiel eingebettet. Innerhalb des Rollenspiels sollen die Studierenden die Prozesse, Kommunikations- und Interaktionsweisen eines Scrum-Teams – einer Ausprägung agiler Arbeitsweisen – kennenlernen und die mit dieser Arbeitsweise verbundenen Charakteristika, Stärken und Schwächen identifizieren.

Agile Arbeitsweisen wie Scrum eignen sich nicht nur für die ursprüngliche Anwendung in der Software-Entwicklung, sondern auch in anderen Fachbereichen. Diese Übertragbarkeit sollen die Studierenden erkennen lernen, indem sie selbst Teil eines Scrum-Teams im Rahmen einer Simulation durch das genannte Rollenspiel werden.

Während bisher diese Arbeit in Scrum-Teams durch analoge Materialien wie papier-basierte Rollen- und Aufgabenbeschreibungen sowie Kompetenzmatrizen zur Verwaltung der beteiligten Rollen (Product Owner, Scrum Master, Scrum Team-Mitglied und – individuell für die Lehrveranstaltung integriert – PR-Team), wird dies im Rahmen von ARieL in die kollaborative AR-App integriert. Über ein Menü (siehe Abb. 2) haben die Studierenden die Möglichkeit, ein individuelles Profil anzulegen, bei welchem sie zum einen ihre Rolle (z.B. Product Owner), zum anderen ihren Namen und Spielerfarbe wählen können. Die angelegten Profile werden dann allen Nutzern der App angezeigt, um so einen Überblick über die beteiligten Rollen/Personen zu erhalten. Die Spielerfarbe wird dann im Verlauf des Rollenspiels nützlich: sobald ein Nutzer ein Möbelstück aus dem Katalog in die Spielfläche zieht (grau-gepunktete Fläche in Abb. 1) oder ein bereits dort existierendes Möbelstück manipuliert (d.h. dreht oder verschiebt), wird die entsprechende Farbe des Nutzers unterhalb des Möbelstücks angezeigt, um nachvollziehbar zu machen, welcher Nutzer gerade woran arbeitet. Außerdem wird die Eintragung von Kompetenzen der jeweiligen Rolle sowie zu bearbeitende Aufgaben während des Rollenspiels in die AR-App integriert, um alle Arbeitsmaterialien an einem Ort zu haben und diese in der App – anders als im bisherigen analogen, papier-basierten Setting – jederzeit anpassen und ändern zu können, um die agile Kollaboration zu unterstützen. Ein Ampelsystem soll in der zukünftigen Weiterentwicklung des aktuellen Prototyps der AR-App zudem anzeigen, welcher Nutzer wie stark mit Aufgaben ausgelastet ist, um ein besseres Projektmanagement zu ermöglichen, indem Aufgaben stark belasteter Nutzer von weniger stark ausgelasteten Nutzern übernommen werden können.

Ziele des Einsatzes

Das Projekt ARieL verfolgt zentral die folgenden Ziele:

  • Entwicklung eines prototypischen AR-Gruppenszenarios für die Hochschullehre
  • Unterstützung individueller, aber auch sozialer/kollektiver Wissenskonstruktion durch Vergabe unterschiedlicher Rollen sowie Zeigen verschiedener Perspektiven auf das virtuelle Objekt via Detektion unterschiedlicher Positionen im Verhältnis zum AR-Marker
  • Stärkung der praxisnahen Problemlösekompetenz im Team (durch unterschiedliche Rollen der Studierenden)

Entsprechend beinhaltet das Projekt die Entwicklung des AR-Szenarios für eine spezifische Lehrveranstaltung. An die Entwicklung der zugehörigen kollaborativen AR-App wurde diese ebenfalls im Anschluss an die Pilot-Durchführung mit den Studierenden evaluiert. Diese Evaluation untersucht, ob der Einsatz des AR-Szenarios im Vergleich zur klassischen (papier-basierten, analogen) Lehre eine höhere Effektivität hinsichtlich Faktoren wie Akzeptanz der Technik und der Lerninhalte, Motivation und Verständnis der Lerninhalte aufweist. Dabei wird das Augenmerk insbesondere auf die Interaktion und Kollaboration gelegt – sowohl simultan über das für alle Beteiligten sichtbare Anklicken oder Manipulieren einzelner Bestandteile der virtuellen Objekte als auch realen Umgebung z.B. mittels interpersonaler face-to-face-Kommunikation über Kommentare, Erläuterung oder Diskussion.

Die Neuerung dieser AR-Anwendung liegt im Speziellen darin, dass eine Manipulation des virtuellen Objekts durch einen oder mehrere Nutzer, simultan für alle Teilnehmenden des AR-Gruppenszenarios erkennbar ist. Dadurch wird eine Interaktion ermöglicht, die nicht ausschließlich außerhalb des AR-Szenarios in der realen Welt stattfindet. Diese Interaktion kann beispielsweise darin bestehen, einzelne Aspekte oder Bestandteile des virtuellen Objekts anzuklicken und weitere Informationen darüber für alle anderen Teilnehmenden sichtbar bereitzustellen, oder aber mit mehreren Studierenden verschiedene Einzelteile, die sie mit ihrem jeweiligen Smartphone aufgrund ihrer spezifischen Position zum AR-Marker erhalten, gemeinsam zu einem komplexen virtuellen Objekt (= Produkt) zusammenzusetzen.

Implikationen für Lehre

Die Evaluation des AR-unterstützten Rollenspiels und der kollaborativen AR-App in der Lehrveranstaltung “Agiles Management in Technologie und Organisation” bestätigt die motivierende Wirkung dieser Technologie. Trotz anfänglicher Skepsis über die Beschäftigung mit dem Thema Scrum im Form eines Rollenspiels waren alle Studierenden konzentriert bis zum Ende der Übung mit der Lösung der Aufgabe befasst. Auch in der Bewertung der Gruppenarbeit wurde diese Konzentration auf die Aufgabe positiv von den Studierenden angesehen, da aus ihrer Sicht alle Teammitglieder sich gleichermaßen eingebracht haben. Außerdem zeigt die Evaluation, dass die allgemeine Einschätzung der AR-App als integriertes Tool in einer Lehrveranstaltung als sehr positiv bewertet wird. Allerdings zeigt sich bisher auch, dass die AR-App noch nicht als sonderlich unterstützend für die Kollaboration im Team angesehen wird, da sie als schwierig zu nutzen bewertet wird. Dies ist voraussichtlich auf den Prototypen-Status der App in Kombination mit der noch nicht so weit verbreiteten Nutzung der Technologie AR zurückzuführen. Die Studierenden hätten eine Einarbeitungsphase in die AR-App benötigt, um diese im Rollenspiel intuitiver nutzen zu können. Dennoch wurde sie als hilfreich für das Verständnis solcher abstrakten Prozesse oder bislang nur theoretisch vermittelter Lerninhalte wie agiles Management und Scrum eingeschätzt und als sehr motivierend bewertet.

Die Applikation wird zukünftig insbesondere auch im Bereich der Usability und ggf. weiterer fachlicher Einsatzszenarien für Scrum-Teams weiterentwickelt und sowohl in Vorlesungen der RWTH Aachen als auch der Technischen Hochschule Köln im Rahmen des Bachelor- und Masterstudiums Maschinenbau eingesetzt. Darüber hinaus ist ein Transfer auf weitere Fächer und Studienbereiche geplant.

Weitere Anwendungsbeispiele

Neben dem genannten Anwendungsbeispiel konnten im Laufe der Projektlaufzeit durch Feedback der Studierenden, die die App getestet haben und auf Veranstaltungen, auf denen die App demonstriert wurde, weitere spannende Anwendungsfälle identifiziert werden, für die die Technologie AR einen Mehrwert darstellt. Insbesondere für kollaborative Lernsettings finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung der AR-App. So kann bspw. im Fach Architektur das gemeinsame Erstellen von Gebäudemodellen über eine kollaborative AR-App unterstützt werden oder im Bereich Maschinenbau die kollaborative Fabrikhallenplanung bzw. das dahinterliegende Projektmanagement praxisnah und ressourcenschonend trainiert werden.

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