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RWTH-Schreibzentrum

Archiv für Juli 2018

Bus hält!

18. Juli 2018 | von

Sara Schneider: Bus hält!

 

Entstanden ist der Text im Wintersemester 2017/2018 in unserem Oberseminar Texte in Arbeit.

 


Ein eindringlicher Geruch nach Zwiebeln und Frittiertem. Wie eine Straßenküche in Fernost. Der Geruch so frisch, als hätte man die Frühlingszwiebeln gerade geschnitten. In der Vorstellung penetrant, tatsächlich angenehm und heimelig. Es ist nicht der Geruch von abgestandenem erkaltetem Fett, sondern der einer geselligen Küche. Wie ein Zuhause, eine Schüssel heißen Essens, frische Zutaten und fröhliche Gesichter.

Die beiden Asiatinnen vor mir verlassen den Bus. Ihr eigentümlicher Geruch hängt ihnen noch eine Weile nach, während sich mit jeder Haltestelle etwas Neues daruntermischt. Kalte Herbstluft, nasser Asphalt, Abgase und Benzin. Das ein oder andere Parfüm schwängert die Luft im stickigen Bus. Neue Düfte mischen sich unter. Doch holt man tief Luft, ist der erste Geruch noch immer da. Das warme, frittierte Essen. Die scharfen Noten von Zwiebeln. Hunger. Man bekommt Hunger. Und wenn man satt ist, bekommt man Lust. Lust auf den Hunger. Auf die Freude am ersten Bissen nach langem Hunger. Wie der erste Schluck Wasser an einem heißen Sommertag. Die Freude am Essen.

Die Vorfreude auf ein warmes, nahrhaftes, leckeres Gericht. Aus der nassen Kälte des Herbstes, in die warme stickige Umarmung der Garküche. Fremdsprachiges Geschnatter, Gewusel, Hektik und der Duft nach Essen. Was gibt es schöneres als die Vorfreude, als den ersten Bissen, den die Gabel zum Mund führt.

 

Die Türen öffnen sich jäh unter mechanischem Quietschen. Menschen strömen aus und ein. Ein neuer Geruch: Ein Hauch von etwas Herbem, etwas Bitterem. Von Erde und Torf. Von nasser Blumenerde.

Es überlagert den wohligen Geruch auf das Penetranteste. Es tilgt ihn. Vernichtet ihn. Verschlingt ihn gierig, bis nichts mehr übrig ist. Kein Parfüm kann gegen die Härte dieses Geruchs ankommen. Nichts Schönes legt sich auf diesen Geruch. Nichts will sich damit mischen.

Mein Blick hebt sich zum Ursprung. Die Türen sind bereits geschlossen. Die neuen Mitfahrer versperren die Sicht aus den Glastüren. Was es war, bleibt verborgen. Doch es hat meine Laune gänzlich gekippt. Mich aus dieser wohligen Blase gerissen. So fällt mein Blick auf die Straßen. Auf all die grauen Fassaden. Die schmutzigen Wände, dreckigen Bürgersteige. All diese Plastikkrähen, die wie moderne Gargeules an den Fassaden hängen. Nicht das Unheil sollen sie fernhalten, nur die Tauben. Stumm reihen sich die schwarzen Plastikkobolde aneinander. Ob auch sie bei Nacht zum Leben erwachen und lautstark krächzend ihre Besitzer vom Schlaf abhalten? Ob es die echten Krähen wirklich täuscht und die Tauben abhält? Tauben, die Ratten der Lüfte. So grau wie scheinbar alles heute.

Unter den schwarzen Plastikkobolden huschen Gestalten am Bus vorbei. Morgendliche Jogger, die in hautengen Neonfarben wie Tiefseetaucher wirken. Verloren scheinen sie auf Asphalt, Stolpersteinen und sporadischem Gras. Fehl am Platz sind sie zwischen morgendlicher Hektik, Bussen, Autos und Baustellen. Einsam, so ganz ohne Wasser. Sie tauchen in der Tiefe der Stadt. Schnorcheln Abgase und erkunden Stadtbepflanzungen.

 

So unpassend. Des Läufers Ziel ist der Lauf, doch des Städters Ziel ist stets der Ort, den er niemals rechtzeitig zu erreichen scheint. Auch meine Reise hat ein Ziel. Die nächste Haltestelle.

Nähert sich der Gelenkbus einem Halt, macht sich Umtriebigkeit breit. Menschen, die immer wieder den Halteknopf betätigen, obwohl schon lange das rote „Wagen hält“ Symbol blinkt. Einige brauchen wohl die Sicherheit, dass ihre Haltestelle ja nicht übersehen wird, denn schließlich ist das die einzig wichtige Haltestelle der ganzen Fahrt. Ihre. Andere müssen dezent ihren Sitznachbarn darauf aufmerksam machen, sie doch vorbeizulassen, ohne unnötiger Weise danach zu fragen.

Bei manchen ist es wohl bloß die Freude am Drücken großer roter Knöpfe. Wie für Kleinkinder.

Dieses Mal begebe auch ich mich in die Umtriebigkeit. Stehe früher auf, als eigentlich nötig ist. Ich bin schnell zu Fuß und sitze zum Gang hin und doch braucht man die Sicherheit, ja noch raus zu kommen. Denn das hier ist immerhin die wichtigste Haltestelle. Meine Haltestelle.

Eine ruckartige Bremsung und die Türen geben jäh den Ausgang preis. Etwas Drängeln und Schieben. Ein paar stramme Schritte und der Bus fährt weiter. Die Fahrt ist zu Ende. Die nasskalte Luft umfängt mich. Der Bus war warm; hier ist es kalt. Neue Geräusche und Gerüche umgeben mich. Neben dem gelben Schild warten die Reisenden. Zigarettenqualm. Geschnatter von zwei alten Damen. Essensgeruch von weiter weg. Und unter allem liegt der kalte Geruch von nasser Blumenerde.

Unweigerlich muss ich an mir riechen, doch ich bin es nicht. Ich rieche in die Luft. Es lässt sich keine Richtung ausmachen. Kein Ursprung. Der Geruch scheint von überall zu kommen.

 

Ein Rascheln . Ein Schwarm Tauben stiebt von einem gegenüberliegenden Dach davon. Sie wiegen wie eine Welle in der Luft. Immer im Kreis um die Häuserfronten herum. Ein Rabe stimmt krächzend in das Schnattern und Rascheln ein. Unruhig wippt sein Kopf auf und ab, doch er steht beharrlich auf den Dächern. Sein Blick auf eine regungslose Gestalt gerichtet. Inmitten der Stadtvögel sitzt ein Bussard. Unauffällig, mit seinem braunen Gefieder bildet er fast eine Einheit mit den tristen Fassaden und den verwitterten Ziegeln der Dächer. Nur unmerklich größer als der Rabe und einen Hauch dunkler im Gefieder als die Tauben, sitzt er dort.

Aus dem Grau der Häuser löst sich ein Bus. Wie eine Boje bricht er aus der Welle aus Tauben. Die Türen gehen auf und Menschen schwappen wie die Brandung durch die Türen. Und mit jedem Atemzug zieht auch der Geruch von nasser Blumenerde vorbei.