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RWTH-Schreibzentrum

Brüder und Schwestern

03. August 2015 | von

Kücken

Pfannkuchen, Nudeln, Torten oder einfach als schlichtes Spiegelei. In unheimlich vielen Lebensmittelprodukten sind Eier verarbeitet. Doch woher kommen diese Eier eigentlich? Und was passiert mit den männlichen Kücken, die keine Eier legen können? Steckt vielleicht doch mehr hinter dem so oft als „Hippstergehabe“ verpöhntem veganen Lebensstil? Constanze Schreck hat in unserem Oberseminar: Texte in Arbeit diese gesellschaftskritische Debatte einmal aufgegriffen. Sie erzählt von:

Brüder und Schwestern

„Will er dann auch mit meinen Sachen spielen, wenn er da ist?“, fragt Pia, die auf der Rückbank sitzt, während sie an ihrem Apfel nagt.

„Das sehen wir alles, wenn er bei uns ist, mein Schatz. Du kannst ihm dann zeigen, was du schon kannst. Aber zuerst hast du ab nächster Woche Sommerferien und da fahren wir zu Oma auf die Insel.“

Sie scheint, mit dieser Antwort zufrieden zu sein. Wir sind da. Pias Lieblingserzieherin Katja begrüßt uns mit einem herzlichen Lächeln auf dem Flur der Kita. Auch ich habe sie sehr gerne. Sie hat uns in schweren Zeiten schon viel geholfen.

„Guten Morgen ihr Zwei. Alles gut bei Euch?“

Ich nicke zögerlich und blicke ihr in die Augen.

„Gibt es Probleme?“, fragt sie und zeigt besorgt auf meinen Bauch.

„Nein, nein! Das nicht. Es ist nur… Pia, geh doch schon rein. Ich hole dich nach der Arbeit ab!“

Ich nehme sie in die Arme, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und sehe ihr noch kurz nach, wie sie zur Tür ihrer Gruppe reingeht. Ihre grün-gelben Gummistiefel sind ihr eigentlich schon viel zu klein. Aber für neue reicht das Geld zurzeit nicht.

„Ich weiß nicht, wie ich es noch länger auf der Arbeit aushalten soll. Es wird immer anstrengender, aber ich kann es ihnen nicht sagen. Sonst bin ich raus.“

„Irgendwann musst du es aber tun, Linda. Die Fabrik ist kein Ort für eine Frau, die ein Kind erwartet.“

„Du hast ja Recht, Katja. Wir werden sehen. Bisher geht es noch.“

„Wirst schon wissen, was du tust“, sagt sie achselzuckend.

„Bis später!“ Nachdenklich gehe zu meinem Wagen und fahre weiter.

 

Angekommen auf dem riesigen Parkplatz stelle ich fest, dass ich schon vor zehn Minuten hätte da sein müssen. Während der gesamten Fahrt war ich mit meinen Gedanken woanders. Ich krame meine Handtasche aus dem Kofferraum und gehe eilig zum großen Eingangstor. Der Mann an der Pforte muss neu sein, zumindest habe ich ihn hier noch nie gesehen. Er wirft einen kurzen Blick auf meine Karte und nickt, bevor er sich wieder seiner Bild-Zeitung zuwendet. Nach dem Umziehen schließe ich meine Tasche im Spind ein.

„Nicht nachdenken, Linda“, sagt eine Stimme in meinem Kopf.

Durchatmen.

Gedankenlos steuere ich auf die erste Schleuse zu. Duschen, desinfizieren. Die zweite Schleuse. Duschen, desinfizieren. Helge sieht mich und kommt auf mich zu.

„Moin, Lisa. Du bist spät. Du bist heute in Halle 4.“

Die dritte Schleuse. Duschen, desinfizieren. Dann stehe ich in Halle 4. Das Rattern der Fließbänder kann ich mittlerweile ganz gut ausblenden.

Ich schaue mich um, und eine grauhaarige Frau zeigt mir mit einer Kopfbewegung, wo heute mein Platz ist. Direkt neben ihr. Ich habe ihren Namen vergessen. Ich bin selten in dieser Halle. Zum Glück!

„Wie war das nochmal?“, frage ich sie.

„Die Guten nach links, die Schlechten nach rechts.“ Die Schlechten? Mir wird kurz übel bei diesem Gedanken. Ich lege meine Hand auf den Bauch und schließe die Augen. Nur für einen kurzen Moment. Hoffentlich hat es niemand gesehen.

„Kann‘s losgehen?“, brüllt Helge von oben. Wir nicken. Dann geht es los. Schweigend stehen wir nebeneinander und machen unsere Arbeit. Was anderes ist es nicht. Nicht mehr und nicht weniger. Zumindest dann nicht, wenn es mir gelingt, an etwas anderes zu denken. In Gedanken richte ich das Zimmer meines ungeborenen Sohnes ein.

 

Am Anfang fiel es mir schwer, mit einem Blick zu erkennen, ob das, was ich in der Hand halte, nach links oder nach rechts geworfen werden muss. Außerdem habe ich mich zunächst geweigert, sie zu werfen.

„Anders geht es aber nicht“, meinte Helge damals kopfschüttelnd, „sonst dauert es viel zu lange. Das können wir uns nicht leisten.“

Als ich zum ersten Mal durch die Hallen geführt wurde, blieb ich in Halle 5 wie angewurzelt stehen, als ich sah, was mit denen passiert, die sie die ‘Schlechten‘ nennen. Sie werden von riesigen rotierenden Messern geschreddert. Dann werden sie mit Schaufeln wie Schnee auf einen Haufen geschoben und in Müllcontainer verladen. Das war meine Aufgabe am ersten Tag. Von diesem Moment an, habe ich nie wieder ein Ei geschweige denn Fleisch gegessen. „Einer muss es ja machen“, heißt es hier immer. Und in der Mittagspause essen sie wie immer ihre Brathähnchen und Spiegeleier in der Kantine.

 

Wie in Trance ziehen acht Stunden und das Fließband an mir vorüber. Meine Füße schmerzen. Keine Ahnung wie viele Wochen ich noch durchhalten kann. An der frischen Luft geht es schon wieder besser und ich werde zum ersten Mal an diesem Tag hungrig.

In der Kita kommt Pia direkt auf mich zu gerannt, als ich zur Tür reinkomme.

„Mama, Mama! Heute Mittag haben wir Pfannkuchen gegessen. Ich liebe Pfannkuchen! Die haben aber ganz anders geschmeckt als zu Hause.“

Ich lege meine Stirn in Falten und ziehe meine Augenbrauen hoch. Katja, die direkt neben uns steht, sieht mich überrascht an.

„Was ist los, Linda?“

„Katja, du weißt zwar wo ich arbeite, aber ich denke, dir ist nicht klar, was wir dort tun.“

Verwirrt schüttelt Katja den Kopf.

„Pia, holst du bitte deinen Rucksack?“

Sie verschwindet.

„Jeden Tag, werden in der Fabrik neunzigtausend weibliche Küken über Fließbänder in große Kisten verfrachtet und ‘versandfertig‘ gemacht. Ihre neunzigtausend Brüder werden gehäckselt. Nur wenige Stunden nach dem Schlüpfen. Für sie gibt es keine Verwendung. Ich will nicht, dass das für mich getan wird. Zu Hause essen wir keine Eier und kein Fleisch. Nicht mehr, seitdem ich das gesehen habe.“

Katja stutzt und sieht mich mit großen Augen an.

„Das… das wusste ich nicht. Aber Kinder brauchen das doch. Zum Wachsen!“

„Du siehst ja, dass es auch anders geht.“

Pia kommt zurück und hält mir ihren blauen Schmetterlings-Rucksack entgegen. Ich klemme ihn mir unter den Arm, nehme Pias Hand, und wir verabschieden uns.

Und Katjas Blicke folgen uns bis sich die Tür hinter uns schließt.

Eine Antwort zu “Brüder und Schwestern”

  1. Wieb sagt:

    Alles Gute zum Geburtstag, Conny!

    Lass es krachen…
    Auf die guten Tage, die irgendwann über den Schlechten stehen werden.

    Herzlichst,
    Deine Wieb

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