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RWTH-Schreibzentrum

Titellos

30. Juli 2020 | von

von Matthias Cherek

Im Rahmen des Kurses „Texte in Arbeit (Oberseminar)“ ist dieser Text einer spannenden Diskussion zwischen zwei Akteuren entstanden.

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Du hast ein gutes Leben geführt. Alles in allem etwas durchschnittlich, aber du hattest niemals große Ambitionen. Deine beiden Kinder waren schon vor deinem Herzinfarkt erwachsen. Du hast niemanden allein gelassen, indem du gestorben bist. Ich hoffe, das beruhigt dich.

 

Ich bin tot?

 

Ja – tot. Du lebst nicht.

 

Also ist das hier das Jenseits?

 

Ja und nein.

 

Was bedeutet das denn?

 

Dass noch nicht entschieden wurde, welches dein Schicksal wird.

 

Was kann denn mit mir passieren? Werde ich wiedergeboren?

 

Vielleicht. Wir werden sehen, wie unser Gespräch verläuft.

 

Ist das hier eine Art Bewerbungsgespräch?

 

Ja, aber nicht so, wie du denkst. Hier wird nur untersucht, welchem Zweck du dienen kannst.

 

Was für einem Zweck soll ich denn noch dienen, wenn ich tot bin?

 

Der Tod ist nicht permanent. Bisher hat dich niemand gefunden, dein Ableben kann also noch problemlos rückgängig gemacht werden. Aber sogar nachdem dein Körper begraben wurde, gibt es Mittel und Wege, dich zurück unter die Lebenden zu schicken.

 

Du kannst mich wiederbeleben? Bist du Gott?

 

Nein, ich bin kein Gott. Ich habe deine Götter erschaffen, wie ich auch dich erschaffen habe.

 

Also bist du der Gott der Götter.

 

Nein. Niemand außer dir weiß von mir. Nicht die Menschen und nicht die Götter. Sobald entschieden wurde, was mit dir geschieht, wirst auch du nichts mehr von mir wissen. Es gibt mich gar nicht, dort wo du existierst.

 

Das verstehe ich nicht.

 

Ich weiß.

 

Und was wird jetzt aus mir?

 

Erzähl du es mir.

 

Wie kann ich denn entscheiden, was aus mir wird? Ich dachte, du hättest mich erschaffen. Dann musst du auch entscheiden.

 

Deine Entscheidung ist die Meine. Du und ich, wir sind verbunden. Ohne mich gäbe es dich nicht, aber ohne dich wäre auch ich nicht hier.

 

Also habe ich mich selbst erschaffen?

 

Genau.

 

Aber wo komme ich denn her? Wo war der Anfang?

 

Der kam von mir. Es muss immer einen Anfang geben. Und ein Ende.

 

Also, wenn ich entscheiden muss, dann möchte ich weiterleben.

 

Warum?

 

Weil tot sein so endgültig ist.

 

Das genügt nicht. Welchem Zweck dienst du? Welchen Aspekt treibst du voran?

 

Was? Ich weiß nicht, was du meinst. Das Leben muss doch keinem Zweck dienen. Es ist sein eigener Zweck.

 

Nein, nicht du. Du lebst – und stirbst – für einen Zweck.

 

Für welchen Zweck bin ich denn gestorben?

 

Ich wollte sehen, was du davon hältst.

 

Vom Sterben? Finden die Leute ihren eigenen Tod denn nicht immer schlecht?

 

Nein. Es gibt viele gute Gründe für den Tod. Die meisten sehen das ein. Um ehrlich zu sein, frage ich viele gar nicht. Aber du bist anders.

 

Bin ich etwas Besonderes? Vielleicht muss ich deshalb weiterleben.

 

Nein, du bist nichts Besonderes. Du bist anders. Aber warum bist du anders? Was ist dein Zweck?

 

Was weiß ich denn? Das ist ziemlich frustrierend. Dauernd fragst du nach meinem Zweck, aber ich habe doch keinen Schimmer, was ich hier soll.

 

Was wolltest du denn, bevor du gestorben bist?

 

Glück, Liebe, Reichtum. Solche Dinge.

 

Bist du sicher? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich etwas so Langweiliges zulassen würde.

 

Doch. Du hast doch selbst gesagt, ich hätte keine großen Ambitionen.

 

Dann lass es uns anders angehen. Erzähl mir von deinem Leben. Wer bist du, woher kommst du?

 

Also gut. Ich heiße …

 

Du erinnerst dich nicht an deinen Namen?

 

Nein. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, erinnere ich mich an gar nichts.

 

So ist das also. Ich glaube, ich weiß jetzt, welchem Zweck du dienst.

 

Welchem denn?

 

Lebe wohl und danke.

 

Danke wofür?

 

Danke fürs Lesen.

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