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RWTH-Schreibzentrum

Archiv für Juli 2024

Van Goghs Augen

18. Juli 2024 | von

Text von Hanna Dahl

Entstanden im Ramen des Kurses  „Kreatives Schreiben I im Museum“, der am 25. und 26. April im Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen stattfand.


Es ist kühl. Ich fröstele leicht und das einzige Geräusch, das hin und wieder durch den großen Saal hallt, ist ein lautes Piepen. Testweise trete ich näher an Van Gogh heran. Ja, es piept. Eine Diebstahlsicherung. Ganz dicht stehe ich vor ihm. Starre in seine Augen. Grau, ausdruckslos. Wie meine Augen. Neben ihm Nebel, hinter dem einzigen Fenster im Saal, und eine Aussicht, die einem den Atem verschlägt. Ich lehne mich an die kalte, steinerne Fensterbank und spüre unangenehm die Anwesenheit der umherstreifenden Menschen hinter mir. Lautlos schweben sie durch den Raum, mit ihren eigenen Gedanken, andächtig und ängstlich. Bedacht darauf, nicht die Aufmerksamkeit des Museumswärters auf sich zu ziehen. Ich merke schon länger, dass er mich beäugt. Völlig verständlich, denn man sieht mir an, dass ich nicht wegen der Bilder hier bin.

Ich bin ausschließlich zum Warten hier, bis du deine Runde gedreht hast. Du bist traurig, dass ich mich nicht dafür interessiere. Für dich oder die Bilder oder beides. Aber die Bilder sind wie du. Stumm und so distanziert. Nur erwarte ich nichts von Van Gogh. Seine grauen Augen sind nicht vorwurfsvoll, nicht anklagend. Aus ihnen spricht keine Enttäuschung.

Es gab Zeiten, da hatte ich gehofft, dass es im Alter besser wird. Dass du siehst, dass ich Gedanken habe, die dich interessieren könnten. Du hattest gehofft, dass es durch diese Sonntage besser wird. Aber Sonntage bedeuten für mich nur eine Langeweile, die meine Einsamkeit zu verstecken versucht. Ich stehe hier nur so da und sogar dieser Museumswärter merkt, dass ich nicht hierhergehöre. Wieso du nicht?

Mit dem Finger fahre ich die Furchen im Mauerwerk nach. Rauer Stein. Ein wenig bröselt ab. Ich höre Schritte und ich weiß, dass es deine sind. Demonstrativ starre ich weiter nach draußen, in den Nebel. Du stellst dich neben mich und eine Welle unausgesprochener Enttäuschung überrollt mich. Ich kann nicht mal sagen, ob es meine oder deine ist. Als sich unsere Blicke kreuzen, weiß ich, dass auch du es spürst. Aber gefangen in unserem männlichen Stolz, sind wir beide nicht fähig, diese Wand mit Worten einzureißen. Van Gogh vermag es nicht, unsere Beziehung zu retten und es ist absurd, dass du das zu hoffen gewagt hattest.

„Gehen wir“, sagt er.

©Hanna Dahl