Wir freuen uns sehr, dass dieses Semester einige Texte unserer Seminare Journalistisches Schreiben und Kreatives Schreiben veröffentlicht worden sind. Letzte Woche war es wieder so weit: Maire Ludwigs Reportage über eine Nacht im Streifenwagen der Aachener Polizei wurde in der Aachener Zeitung veröffentlicht. Wer die Ausgabe verpasst hat, kann den Text hier in voller Länge nachlesen:
Hinten rechts sitzen immer die Bösen – eine Nacht auf Streife in Aachen
Einbruch, Körperverletzung und Mord. Ob im Buch oder im Fernsehen – jeder kennt sie: die Polizisten aus den Krimis. Doch wie sieht eine Nacht auf Streife wirklich aus? Welche Verbrechen passieren? Und kann man als Beamter eigentlich ein ganz „normales“ Leben führen?
Eine Reportage von Marie Ludwig
Aachen. Einbruchsalarm. Mit Vollgas rast ein Streifenwagen durch die Nacht. Blaue Lichter flimmern über die Häuserfassade. Von außen wirkt alles verlassen. Der Sicherheitsbeauftrage schließt die Türe auf. „Hier ist die Polizei“-Rufe schallen durch das Haus. Nachbarn recken neugierig die Köpfe aus dem Fenster. Das Adrenalin steigt. Doch Nicole Hallmann ist in ihrem Element: „Einbrüche in Häuser sind immer was Besonderes“, gesteht die 38-jährige Polizistin. „Das ist immer ein richtiger Nervenkitzel, ob der Täter noch im Haus ist.“ Vorsichtig pirschen sie und ihr Kollege Offermanns sich an Ansammlungen von Nippes-Figürchen und Häkeldeckchen vorbei durch das Haus. In jeden Winkel wird geschaut. Doch ein Täter ist dieses Mal nicht im Haus.
An diesem Freitagabend sind auf der Wache zwölf Polizisten in der Innenstadt Aachens für den Nachtdient eingeteilt. Nicole Hallmann und Michael Offermanns bilden heute ein Streifenteam, und auch für sie wird dies eine lange Nacht. Von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens heißt es für beide: immer wachsam und stets dem Verbrechen auf der Spur.
Ein letzter Check der Ausrüstung: Waffe, Funksprachgerät, Handschellen, Taschenlampe, Sprühgerät mit Tränengas oder Pfefferspray, Nachfüllpatrone, Handschuhe und Schlagstock. Das alles trägt ein Polizist griffbereit an seinem Gürtel, dem sogenannten Koppel. Die Uniform sitzt; die schusssichere Weste unter dem hellblauen Hemd auch. Ein letzter Blick durch das Panzerglas der Eingangshalle und dann geht es auch schon los.
Erster Halt: der Synagogenplatz in Aachen. Hierhin wird das Team regelmäßig zurückkehren, da die Synagoge besonderen Schutz braucht. Nicole Hallmann tippt auf der Autoanzeige auf Nummer Vier. Durch diese Kennziffer wird der Zentrale übermittelt, dass die Streife am Einsatzort angekommen ist. Neben Nummer Vier gibt es noch drei weitere Kategorien: Die Eins bedeutet einsatzbereit, die Zwei zeigt an, dass die Streife auf der Wache ist, und die Kennziffer fürauf dem Weg zum Einsatzort ist die Drei. Doch nicht nur über den Statusmelder sind die Polizisten miteinander vernetzt. Zusätzlich besitzt jeder Streifenwagen zwei Lautsprecher, aus denen Anweisungen der Zentrale und gleichzeitig die Gespräche zwischen den Kollegen über ihre Einsätze zu hören sind.
„Robert 11-01 an Robert 11-31. BTM gefunden“, verkündet die Zentrale aus dem Lautsprecher. „Robert 11-31 verstanden, einsatzbereit, kommen“, antwortet Nicole Hallmann über die Gegensprechanlage und drückt auf Nummer Drei. Den Laien würde das sicher verwirren, die beiden Beamten aber wissen genau, was jetzt zu tun ist: die Sicherstellung von Betäubungsmitteln (BTM).
Robert ist der Funkname für alle Polizeieinrichtungen im Kreis Aachen. Deutschlandweit trägt jeder Polizeikreis einen bestimmten Vornamen. Robert 01 ist in diesem Fall die Zentrale der Polizeistation. Der Streifenwagen besitzt die Kennziffer 31. Die Zahl 11 gibt den Bereich in Aachen an, für den die Streife an diesem Abend zuständig ist. |
Nachdem man zwei Männern ein Päckchen Marihuana abgenommen hat, fertigt Hallmann ein Protokoll des Falls an. Dann geht es direkt weiter zum nächsten Einsatz: ein Verkehrsunfall.
Als der Streifenwagen die Unfallstelle erreicht, hat sich bereits eine Traube von Männern gebildet, die versuchen die Lage zu erklären. Wirklich gesehen hat jedoch keiner etwas, sodass die Faktenaufnahme zu Schuldzuweisungen verkommt: „So was sind die unbefriedigendsten Fälle – man weiß nie hundertprozentig, wer der Verursacher ist“, bemerkt Offermanns, während er die Daten der Fahrzeughalter an die Leitstelle weitergibt.
Um 1:15 Uhr ist Pause. Während die Kaffeemaschine brummt, sprechen die Kollegen über ihre bisherigen Fälle und vor allem über eines: Fußball. Über den Fernseher flimmern Neuer, Lahm & Co. Inzwischen verstaut Nicole Hallmann im Nachbarraum die zuvor sichergestellte Droge in einem Briefumschlag: „Wenn wir viel Marihuana beschlagnahmen, dann kann das hier auf der Wache schon mal ganz schön riechen“, sagt sie lachend, während ihr Kollege den Briefumschlag einschließt.
Kennengelernt haben sich die beiden in der Hundertschaft, einer Einheit für besonders große Aufgebote: „Ich weiß noch, als wir damals in Gorleben diesen riesigen Einsatz hatten“, erinnert sich Hallmann: „33 Stunden standen wir am Gleis, um den Atommülltransport zu überwachen; Schlafmangel pur!“ Doch bis auf solche Extremeinsätze sei der rotierende Schichtdienst kein Problem: „Wir haben immer eine Woche Früh-, eine Woche Nacht- und eine Woche Spätdienst“, erklärt Offermanns. „Spätestens am zweiten Tag hat man sich an die Umstellung gewöhnt und kann ein ganz normales Leben führen.“
Einbruch, Körperverletzung und Mord. Das ist zwar nicht der Alltag eines Polizisten, aber trotzdem kommen solche Fälle immer wieder vor. Dies müssen auch die Beamten erst einmal verarbeiten. Für Nicole Hallmann ist vor allem ihr Mann eine große Stütze: „Man sollte das nicht allein mit sich ausmachen“, erklärt sie. Aber auch ein Spaziergang nach einer aufreibenden Schicht könne helfen, Beruf und Privatleben voneinander zu trennen. Das sieht Michael Offermanns als jüngst gewordener Vater ähnlich. Der heute 31-Jährige hatte schon im Jugendsportverein den Wunsch, Polizist zu werden. Sein Trainer bestärkte ihn in seinem Vorhaben.
Langweilig ist der Beruf eines Polizisten definitiv nicht: Jugendliche, die den Eintritt in einen Club erzwingen wollen; eine blutende „HiLo“ (hilflose Person), die ins Krankenhaus geleitet werden muss; eine Frau, die ein großes hundeartiges Tier in ihrem Hinterhof gehört hat und ängstlich auf Vollmond und Freitag den 13. hinweist. −
Derartige Fälle scheinen keine Seltenheit zu sein: „Wir wurden erst letztens angerufen, um eine verlorene Entenfamilien in der Innenstadt zu retten oder um Luftballons von der Domkuppel zu holen“, sagt Offermanns und schmunzelt, während die Streife zum nächsten Einsatz fährt: einem Raubüberfall.
Die Blaulichter der anderen Polizeiwagen blinken schon, als Nicole Hallmann und Michael Offermanns am Tatort eintreffen. Mehrere Täter haben hier eine Person mit Warnschusswaffe und Schlagstock überfallen. Bei solchen Großeinsätzen ist auch Peter Zimmermann dabei. Der Chef der Nachtschichtdienststelle hat eine große Leidenschaft für seinen Beruf: „Immer als Erster vor Ort zu sein, gerade das ist das Reizvolle an diesem Job“, resümiert er, während er einen der potenziellen Täter zur Streife bringt. Auch Nicole Hallmann führt einen vermeintlichen Täter zum Streifenwagen und verfrachtet ihn nach rechts hinten. Denn dort sitzen immer die Bösen.
Kurz vor 6 Uhr kommt der Streifenwagen 11-31 wieder vor der Wache Im Mariental zum Stehen. „Das war doch eine ruhige Nacht“, bemerkt Offermanns zufrieden und steigt aus dem Wagen. Heute Abend um 22 Uhr werden die beiden wieder zurückkehren: Immer wachsam und stets dem Verbrechen auf der Spur.
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